: Ballenberg ob Brienz, Chronik. Die ersten Jahre bis zur Gründung der Stiftung. Thun 2019 : Weber AG Verlag, ISBN 978-3-03818-207-8 359 S.

Ballenberg. Freilichtmuseum der Schweiz (Hrsg.): Ballenberg. Sichtweisen auf das Freilichtmuseum der Schweiz. Bern 2019 : Haupt Verlag, ISBN 978-3-258-08094-9 197 S.

von
Quirinus Reichen

2018 feierte das schweizerische Freilichtmuseum Ballenberg ein Doppeljubiläum, nämlich die 50-jährige Existenz seiner Stiftung und 40 Jahre öffentliche Aktivität als Museum. Zu diesem Anlass sind zwei Publikationen erschienen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich aber gleichwohl ideal ergänzen. Die Publikation von Urs Ritschard ist ein historisches Werk und soll daher hier zuerst betrachtet werden.

Mit der Hochkonjunktur der Nachkriegsjahre ab den 1950er-Jahren war eine forcierte Bautätigkeit und Zersiedelung der Landschaft verbunden. Diese negative Entwicklung bereitete Menschen, die am baulichen Erbe der Schweiz interessiert waren, zunehmend Sorgen. Der Heimatschutz engagierte sich zwar für die Erhaltung der wertvollen Einzelobjekte und Ortsbilder vor Ort, was aber sollte mit denjenigen Bauten passieren, die aus was für Gründen auch immer an den Originalstandorten nicht erhalten werden konnten, und wie sollte der breiten Bevölkerung ein Gesamtbild des bäuerlichen und handwerklichen Kulturguts der Schweiz geboten werden?

Wie es zur Errichtung einer Stiftung für ein Freilichtmuseum auf dem Ballenberg und zur Eröffnung des Museums kam, schildert der Autor in einer detailreichen Chronik, die vor allem die intensiven Vorbereitungsjahre von 1963 bis 1968, dem Gründungsjahr der Stiftung, behandelt. Obwohl schon 1799 der Berner Patrizier Karl Viktor von Bonstetten die Idee dazu hatte, wurden Freilichtmuseen doch vor allem in Skandinavien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts initiiert und perfektioniert, insbesondere das 1891 in Stockholm gegründete Skansen. In der Schweiz sind erste Bestrebungen in der Zwischenkriegszeit zu erkennen, aber die folgenden Kriegsjahre wirkten verzögernd, während die eingangs geschilderte Situation nach 1950 gebieterisch zum Handeln drängte. Einzelpersonen und Vereine engagierten sich in der Folge für die Idee, auch wenn diese nicht unbestritten war; der Heimatschutz hatte noch über Jahrzehnte Bedenken, befürchtete er doch, ein Freilichtmuseum könnte ein Freipass für Zerstörungen vor Ort werden. Viele Kritiker wandten auch ein, eng beieinanderstehende Bauten aus unterschiedlichen Gegenden würden sich nicht miteinander vertragen.

In diesen Jahren arbeiteten allen voran Gustav Ritschard, der Vater des Autors, der Architekt und Macher vor Ort, und Max Gschwend, der Basler Bauernhausforscher, der die Idee am entschiedensten förderte und propagierte, für die Realisierung eines Freilichtmuseums. Unterstützt wurden sie von weiteren Persönlichkeiten aus dem Berner Oberland, aber auch aus anderen Gegenden der Schweiz wie dem Geografen Georges Grosjean, dem Luzerner Bauernhausforscher Ernst Brunner oder Ernst Laur vom Schweizerischen Bauernverband.

Am Anfang kamen mögliche Standorte in der Umgebung der Stadt Bern, im Oberemmental, in der Zentralschweiz (Luzern und Obwalden) und im Berner Oberland in Betracht. Verschiedene Arbeitsgruppen und Kommissionen beteiligten sich am Auswahlverfahren, in dem schliesslich das Areal des Ballenbergs bei Brienz obsiegte, nicht zuletzt, weil die Befürworter vor Ort beinahe präjudizierende, intensivste Vorarbeiten geleistet hatten. Von 1963 bis 1968 wurde politisches Lobbying betrieben, Konzeptarbeit geleistet, Land erworben, finanzielle Fragen geklärt und schliesslich erste Objekte akquiriert, eine Arbeit, die sich in der Folge kontinuierlich in die Zeit zwischen Stiftungsgründung 1968 und Museumseröffnung 1978 hinzog, immer wieder belastet durch negative Einflüsse und Störungen. Die Zeit nach der Museumseröffnung 1978 behandelt der Autor nur noch summarisch, führt aber einzelne Themen bis in die neuste Zeit und stellt auch eine Reihe realisierter Objekte vor.

Wie im Titel angekündet, handelt es sich bei Ritschards Publikation um eine Chronik. Deren Stärke liegt in den vielen reproduzierten Dokumenten, Plänen, Briefen und Fotos. Die chronologische Ordnung hat aber auch ihre Grenzen, weil es für den Aussenstehenden etwas schwierig wird, angesichts der zeitlich gegebenen thematischen Sprünge den Überblick zu behalten. Die gewichtige Publikation bietet einen Einblick in die Entstehung einer kulturgeschichtlich einmaligen gesamtschweizerischen Institution und leistet einen Beitrag zur Geschichte der ländlichen Kultur sowie zur neueren Geschichte des Berner Oberlandes.

Die offizielle Jubiläumspublikation des Freilichtmuseums, von diesem selbst erausgegeben, hat hingegen nur in geringem Mass Bezug zu seiner Geschichte. Die leuchtet zwar da und dort sehr wohl durch, aber primär erhält der Leser einen Eindruck von den mannigfaltigen Strukturen und Aktivitäten des Ballenbergs.

Irgendwo im Buch steht der banale Satz: «Wenn Wissen verloren geht.» Er markiert eigentlich den Ausgangspunkt der Idee Freilichtmuseum und weist auf das Ziel sowohl der Publikation als auch der Institution hin. Das Freilichtmuseum Ballenberg ist ein riesiges Archiv, das Sachgüter, Bauten, Geräte, aber auch Bräuche und nicht zuletzt die Natur, Tiere und Pflanzen umfasst und das traditionelle Zusammenspiel all dieser Elemente vorführt, von der fernen Vergangenheit bis in die Gegenwart, bis in die Zeit, in der durch die rasende technologische Entwicklung innert weniger Jahrzehnte viel Wissen verloren gegangen ist.

Auf die Jubiläumsansprachen folgen 17 in Stil und Gehalt unterschiedliche Beiträge zu einigen Gebäuden. In der «Aussensicht» geht es um den Wandel der Siedlungsräume, aber auch um Ansätze zur Feldforschung oder zur Frage nach den Häusern als materiellen Quellen der Geschichtsforschung. Die «Auseinandersetzungen im Jubiläumsjahr» sind der eigentlich faszinierende Teil dieser Publikation. Es geht darin um Existenzbedingungen, Produktionsmethoden und Produkte, Museumsaktivitäten und Aussenbeziehungen wie Landschaftstheater und Kooperationen sowie um Pflanzen und Tiere im Areal, die erst die Lebendigkeit des Museums ausmachen.

Das Buch ist ein guter Einstieg in die Geschichte des ländlichen Raums der Schweiz. Wer es studiert hat, kann zwar nicht behaupten, er wisse nun alles über die Lebensweisen, wie sie bis vor wenigen Jahrzehnten existiert hatten. Aber es hat ihm auf profunde Weise einen Zugang zu einer Welt geöffnet, die von den meisten heutigen Menschen nur noch schemenhaft oder gar nicht mehr erkannt und noch seltener verstanden wird. Es zeigt, wie der Besucher in einer Institution, wo er sowohl Aussen- als auch Innenräume betrachten und an konkreten Aktivitäten und Demonstrationen teilnehmen kann, Ansätze zur Begegnung mit der Vergangenheit findet.

Nach der Lektüre dieses meist farbig illustrierten Bandes – die Fotos sind durchwegs von sehr hoher Qualität – hat man einen fantastischen Eindruck in die Welt eines modernen Freilichtmuseums gewonnen. Eigentlich hätte es dieses Buch bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren für all die Kritiker geben sollen, die den Ballenberg nicht sehen wollten und nicht verstehen konnten. Sie wären zu feurigen Befürwortern einer blendenden Idee geworden.

Zitierweise:
Reichen, Quirinus: Rezension zu: Ritschard, Urs: Ballenberg ob Brienz, Chronik. Die ersten Jahre bis zur Gründung der Stiftung. Weshalb das Freilichtmuseum der Schweiz im Berner Oberland steht. Thun / Gwatt: 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 2, 2021, S. 75-78. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.

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